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STOTTERN IM KINDESALTER


CHILDHOOD STUTTERING

The article gives a historical overview and the state of the art concerning childhood stuttering. It deals with the well-established and recommended methods of treating stuttering and of advising parents. According to the ICF model, the reader should be enabled to deduce the two-step diagnostic procedure, the counselling and - if necessary - the scheduling of therapy. According to the German guidelines, recommended therapeutic methods are mentioned. The state of the art concerning research into therapy is critically discussed.

Keywords:

stuttering – therapy – childhood – aetiology – prejudices – counselling – therapy decision


Autoři: Sandrieser Patricia 1
Vyšlo v časopise: Listy klinické logopedie 2021; 5(1): 24-30
Kategorie: Hlavní téma

Souhrn

Der Artikel gibt einen Überblick über die historische Betrachtung und den aktuellen Stand der Forschung zum Thema Stottern und beschäftigt sich mit den etablierten und empfohlenen Methoden zur Behandlung des Stotterns und zu den Formen der Elternberatung. In Anlehnung an die ICF sollen Leserinnen in die Lage versetzt werden, die zweistufige Diagnostik, die Beratung und gegebenenfalls die Therapieplanung ableiten zu können. In Anlehnung an die deutsche S3-Leitlinie werden auch Therapieverfahren genannt, die sich nicht bewährt haben. Der aktuelle Stand der Therapieforschung wird kritisch diskutiert.

Klíčová slova:

Stottern – Kindheit – Vorurteile – Ätiologie – Therapie – Beratung – Therapieentscheidung

Patricia Sandrieser
Patricia Sandrieser

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Einführung

Stottern gehört mit einer Inzidenz von mindestens 5 Prozent im Kindesalter (Andrews and Harris, 1964, Mannson, 2002) zu den häufigen logopädischen Störungsbildern. Viele Jahre lang galt Stottern als geheimnisvoll und schwer zu behandeln. Nicht nur in Europa wurde Stottern lange indirekt durch Elternberatung oder Psychotherapie behandelt. Stotternden Kindern und ihren Eltern wurden besondere Eigenschaften nahgesagt – sie galten lange als psychisch wenig belastbar; als Ursache wurden fälschlicherweise elterliche Erziehungsfehler oder traumatische Erlebnisse angenommen (Boberg, 1995). Aufgrund der situationsabhängigen Schwankungen der Symptomatik galt Stottern als „Quecksilberstörung“ (Dell, 1993), was Laien häufig zur Annahme verleitete, die Kinder müssten sich besser konzentrieren, länger über das Gesagte nachdenken, sich beruhigen oder langsamer sprechen, da ihr Denken schneller als ihr Sprechen sei.

Heute gilt Stottern als eine der am besten erforschten Störungsbilder in der Logopädie, was mit daran liegt, dass die Kernsymptome des Stotterns unabhängig von der gesprochenen Sprache und sogar unabhängig von der Modalität des Gesprochenen auftritt – in Gebärdensprachen wird mit den gleichen Symptomen gestottert (Poizner et al., 1987). Das bedeutet, dass die Grundlagenforschung nicht für jede Sprache repliziert werden muss, wie es in der sprachsystematischen Forschung üblich ist, z. B. in der Erforschung der Syntax der Verbstellung. Wir wissen, dass Stottern eine Sprechablaufstörung ist, weswegen Logopädinnen mit ihrer Grundausbildung in den Bereichen Sprachentwicklung, Kommunikation und Phonetik und ihrem Wissen über Spontansprachanalysen und therapeutisches Vorgehen die Fachleute sind, um stotternde Kinder zu diagnostizieren, die Eltern zu beraten und ein Therapieangebot zu machen. Uns liegen evaluierte und gut strukturierte Therapiekonzepte vor, die bereits im Alter von 2 Jahren angewandt werden können. Durch die hohe Rate an Spontanremissionen genügt in vielen Fällen, eine Beratung der Eltern mit Hinweisen zu einem günstigen Umgang mit dem stotternden Kind.

Definition

Stottern bedeutet unfreiwillige Wiederholungen von Lauten oder Silben, Dehnungen von Lauten oder Blockierungen vor oder in einem Wort (Bloodstein and Bernstein Ratner, 2008). Die Diagnose Stottern kann gestellt werden, wenn in einer repräsentativen Sprechprobe mindestens 3 % der gesprochenen Silben diese Unflüssigkeiten aufweisen (Sandrieser, 2005). Wiederholungen, Dehnungen und Blockierungen werden auch Kernsymptome des Stotterns genannt. Sie können einzeln, zu zweit oder alle drei im Sprechen einer Person auftreten. Diese Kernsymptome definieren in der ICD-10 die Diagnose Stottern (F98.5). Als Begleitsymptome bezeichnet man ungünstige Coping-Strategien, die entweder aus dem Versuch resultieren, aus einem Stotterereignis zu fliehen (z. B. in Form von Tonuserhöhung im Symptom oder Mitbewegungen der Augen, des Kopfes oder der Extremitäten) oder die den Versuch darstellen, dem Stottern vorzubeugen (z. B. durch das Ersetzen eines gefürchteten Wortes oder die Veränderung der Sprechweise, z. B. durch Flüstern oder Sprechen im Singsang). (WHO, 2019). Im Verlauf des Stotterns kann es mitunter schon nach kurzer Zeit durch Sprechängste und die Beeinträchtigung der effektiven Kommunikation zu psychischen Beeinträchtigungen kommen, die im DSM-5 (American Psychiatric Association, 2015) im Zusammenhang mit Stottern hinsichtlich auftretender negativer Gefühle wie Angst oder Scham codiert werden. In der Diagnostik und Therapie, aber auch in der ersten Beratung ist es daher wichtig, alle Beteiligten zu informieren, dass das Stottern alleine durch die Kernsymptome (Wiederholungen, Dehnungen, Blockierungen) definiert ist. Bei den Begleitsymptomen und der eventuell resultierenden psychischen Belastung handelt es sich um Folgen des Stotterns. Im Sinne der ICF (WHO, 2001) ist unabhängig vom Alter des Kindes und vom Zeitpunkt seit Stotterbeginn eine logopädische Diagnostik und Beratung sinnvoll, wenn durch das Stottern eine Einschränkung in der Partizipation im Alltag besteht (Sandrieser und Schneider, 2015). In vielen Fällen wird die Begleitsymptomatik oder Verhaltensänderungen, die aus der psychischen Belastung resultieren, als sozial auffälliger bewertet als das Stottern selbst.

Historische Betrachtung

Der Nimbus des Geheimnisvollen, der Stottern viele Jahre umgab und das Bestehen von wirkungslosen Ratschlägen und Interventionen kann erklärt werden, wenn man die international zugängliche Literatur sichtet und erkennt, dass fehlende Grundlagenforschung und die Interpretation einer Studie vor fast 100 Jahren lange zu Fehlinterpretationen in drei Bereichen geführt haben:

› Die Ähnlichkeit von Stotterereignisse und normalen Unflüssigkeiten führte zur Annahme, dass das Stottern ein Phänomen sei, dass in der Sprachentwicklung üblich und daher kein Grund zur Sorge sei.

› Die hohe Rate an Spontanremissionen schien die Befürworterinnen der Strategie, erst einmal abzuwarten, zu bestätigen und führte oft dazu, dass besorgte Eltern nicht ernst genommen wurden. Außerdem ist zu befürchten, dass sich dadurch bis heute Anbieterinnen unwirksamer Therapiemethoden bestätigt sehen, wenn Kinder zum Zeitpunkt ihrer Intervention eine Remission haben.

› Die sogenannte „Diagnosogene Theorie des Stotterns“ von Wendell Johnson (1942) führte zur Annahme, dass es für Kinder schädlich sei, auf ihr Stottern angesprochen zu werden. Der daraus resultierende Ratschlag an die Eltern, nur auf den Inhalt des Gesprochenen zu achten und das Stottern zu ignorieren, hatte zur Folge, dass sich in der Logopädie über lange Zeit keine direkten Ansätze zur Behandlung des Stotterns etablierten.

Stottertypische und normale Unflüssigkeiten

Bei den drei möglichen Kernsymptomen des Stotterns (Wiederholungen von Lauten und Silben, Dehnungen von Lauten und Blockierungen vor oder in einem Wort) handelt es sich um unfreiwillige Unflüssigkeiten des Sprechens, die bei nichtstotternden Menschen sehr selten auftreten und die diagnostisch relevante Schwelle von 3 Prozent nicht überschreiten (Sandrieser, 1995). Alle Menschen, Kinder wie Erwachsene, machen normale Unflüssigkeiten, die Starkweather „funktionelle Unflüssigkeiten“ nennt (Starkweather, 1987). Diese Unflüssigkeiten haben eine Funktion: sie verschaffen dem Sprecher Zeit für die Sprechplanung oder helfen, Fehler zu korrigieren. Funktionelle Unflüssigkeiten werden daher strategisch eingesetzt, um zu verhindern, dass die Aufmerksamkeit des Zuhörers nachlässt oder um einen Sprecherwechsel zu vermeiden (Kowal et al., 1975). Im Gegensatz zu Laien-Meinung sind sie nicht Zeichen von unreifer Sprachentwicklung, sondern werden mit zunehmendem Alter mit immer größer werdenden zeitlichen Anteilen im Sprechen eingesetzt (Sandrieser, 2005). Als typische funktionelle Unflüssigkeiten im Kindergartenalter gelten Wiederholungen von Wörtern (Kowal et al.,1975). In dieser Zeit beginnen die meisten der betroffenen Kinder zu stottern (Guitar, 2014). Da auch bei stotternden Kindern Wiederholungen als Kernsymptome auftreten können, wurden diese schon früh und sehr lange als eine Entität mit den normalen Unflüssigkeiten betrachtet (Fröschels, 1931). Funktionelle Unflüssigkeiten lassen sich jedoch sowohl anhand des Ortes ihres Auftretens (oft am Ende einer Phrase) und aufgrund ihrer Struktur (mehrsilbige Wörter, Phrasenwiederholungen oder Betonungsdehnungen) von Stotterereignissen unterschieden (Sandrieser, 2005).

Das Fazit ist, dass Eltern ernst genommen werden müssen, die in Sorge sind, dass ihr Kind stottert. Wenn vermeintliche Fachleute sie fälschlicherweise dahin gehend beraten, dass ihre Sorge unbegründet sei, werden sie in ihrer elterlichen Kompetenz verunsichert.

Remissionen

Die Rate an Remissionen wird für stotternde Kinder auf 70 bis 80 Prozent geschätzt (Neumann et al., 2016). Die größte Chance besteht in den ersten zwei Jahren nach Stotterbeginn. Wenn Therapeutinnen mit Kindern dieser Altersgruppe arbeiten, müssen ihre Interventionen noch mehr Kindern zu einer Remission verhelfen, wenn sie sich in Bezug auf Heilung als Effektiv bezeichnen möchten.

Fazit: Seriöse Therapeutinnen machen Eltern stotternder Kinder darauf aufmerksam, dass es sich um einen zeitlichen Zufall handeln könnte, wenn zeitgleich zur Therapie eine Remission eintritt. In einer Therapiestudie muss entweder eine ausreichend große Gruppe von Kindern oder eine vergleichbare Kontrollgruppe eingeschlossen sein, um Effekte nachweisen zu können.

Da phasenweise Schwankungen der Symptomatik bekannt sind und auch Zeiten mit Symptomfreiheit beschrieben werden, muss eine vermeintlich erfolgreiche Therapie zudem eine follow-up- Untersuchung beinhalten, die frühestens 12 Monate nach Therapieende durchgeführt wird.

Fazit: Die hohen Remissionsraten dürfen nicht die Begründung sein, jungen Kindern eine logopädische Diagnostik und Beratung vorzuenthalten – da Begleitsymptome und psychische Belastung auch schon bald nach Stotterbeginn auftreten können, kann auch eine später remittierte Symptomatik zu einem ungünstigen Selbstbild und Einschränkungen in der Partizipation im Alltag führen (Sandrieser and Schneider, 2015).

W. Johnsons „Diagnosogene Theorie des Stotterns“

Als W. Johnson Eltern stotternder Kinder nach Unflüssigkeiten befragte, die ihnen zu Beginn der Störung aufgefallen seien und eine Kontrollgruppe von Eltern, deren Kinder nicht stotterten, befragte, welche Unflüssigkeiten sie im Sprechen ihrer Kinder hörten, ergab eine quantitative Analyse das Ergebnis, dass nichtstotternde Kinder manchmal sogar mehr Unflüssigkeiten hatten (Johnson et al., 1942). Er leitete daraus die sogenannte diagnosogene Theorie des Stotterns ab, die besagte, dass stotternde Kinder Unflüssigkeiten wie alle anderen Kinder machten. Ihre Eltern würden aber negativ darauf reagieren und die Kinder dadurch ins Stottern treiben. Seine therapeutische Konsequenz bestand darin, das Thema Stottern gegenüber Kindern nicht zu thematisieren, sie keinesfalls zu therapieren, sondern Eltern zu beraten, wie sie auf Unflüssigkeiten fortan nicht mehr reagieren sollten.

Eine spätere Durchsicht seiner Studiendaten ergab, dass die angegebenen Unflüssigkeiten in den beiden Gruppen einen qualitativen Unterschied aufwiesen – die Eltern der stotternden Kinder hatten angegeben, dass ihnen die Unflüssigkeiten aufgefallen seien, die wir heute als Kernsymptome des Stotterns bezeichnen. Die Eltern der nichtstotternden Kinder hatten hingegen vor allem normale, funktionelle Unflüssigkeiten im Sprechen ihrer Kinder beschrieben (Johnson, 1959). Die Publikation der erneuten Durchsicht der Daten führte jedoch noch lange Zeit nicht zu einer Veränderung im Beratungs- und Therapie-Angebot. Auch hier könnte die hohe Rate an Spontanremissionen im therapeutischen Alltag dazu geführt haben, dass Therapeutinnen sich darin bestärkt sahen, Kinder nicht direkt zu behandeln und stattdessen die Eltern zu beraten, das Stottern zu ignorieren.

Fazit: Da wir heute wissen, dass das elterliche Verhalten keine erhebliche Rolle in der Entstehung des Stotterns spielt (Neumann et al, 2016, S. 31) ist es ethisch bedenklich, Eltern das Gefühl zu geben, am Stottern des Kindes Schuld zu sein. Da wir aus Studien in mehreren Sprachen wissen, dass auch junge Kinder sich zu Stotterbeginn gewahr sind, dass ihr Sprechen sich verändert (auch wenn sie den Begriff "Stottern" nicht immer kennen), kann es den Kindern nicht schaden, wenn sie angemessen und wohlwollend auf ihr Stottern angesprochen werden (Boey et al. 2009, Langevin 2009). Sandrieser und Schneider (2015) weisen zudem darauf hin, das Tabuisieren dazu führen kann, dass belastete Kinder sich nicht hilfe- und trostsuchend an die Erwachsenen in ihrer Umgebung wenden.

Aktueller Stand der Forschung

Stottern ist eine Sprechablaufstörung, die genetisch bedingt ist (Felsenfeld et al., 2000; Kraft and Yairi 2011). Stottern beginnt typischerweise zwischen dem 2. und 5. Lebensjahr, der durchschnittliche Beginn ist mit 2,8 Jahren (Guitar, 2014). Der etwas höhere Anteil von stotternden Jungen zu Beginn verschiebt sich bis zum Jugendalter noch, da mehr Mädchen eine Remission erfahren. (Andrews and Harris 1964; Mansson, 2000). Die Inzidenz, also die Anzahl an Neuerkrankungen in einer Population wird auf mindestens 5 % geschätzt (Mannson, 2000), während die Prävalenz, also der Anteil der Personen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt stottern, in der Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen auf etwas mehr als 1,7 % geschätzt wird (Bloodstein and Bernstein Ratner 2008). Heute geht man davon aus, dass genetische Ursachen die Erklärung für Geschlechtsdifferenzen zu Beginn und bei den Remissionswahrscheinlichkeiten sind (Neumann et al, 2016, S. 23). Die Gehirne stotternder Menschen zeigen strukturelle Veränderungen (z. B. Sommer et al., 2002), aber auch neurofunktionelle Veränderungen konnten nachgewiesen werden (für einen Überblick siehe Neumann et al., 2016, S. 41ff).

Empfohlene Diagnostik

Die 2016 in Deutschland veröffentlichte S3-Leitlinie "Redeflussstörungen" (Neumann et al., 2016) empfiehlt eine logopädische Diagnostik, indem in einer Spontansprachanalyse neben den stottertypischen Unflüssigkeiten auch die Begleitsymptome und die vermuteten psychischen Reaktionen auf das Stottern erfasst werden sollen. Als geeignet hat sich hier das Stuttering Severity Instrument, SSI-4 von Riley (2009) erwiesen. Neben dieser standardisierten Analyse der Kernsymptome in Quantität und Qualität ist die anamnestische Erhebung der möglichen kommunikativen Einschränkungen und die Reaktionen aus der Umgebung ebenso wichtig, wie die Einschätzung der Sprechnatürlichkeit und bei älteren Kindern deren eigene Einschätzung des Grads der Belastung durch das Stottern. Sandrieser und Schneider (2015) empfehlen eine zweistufige Diagnostik, in dem im ersten Schritt festgestellt wird, ob Stottern vorliegt und im zweiten Schritt alle Informationen erhoben werden, die notwendig sind, um die Eltern zu beraten. Da in den ersten zwei Jahren nach Stotterbeginn die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Remission am höchsten ist, kann bei Kindern, die durch ihre Kernsymptome nicht belastet sind und die keine auffälligen Begleitsymptome entwickeln die Option abzuwarten eine zielführende Maßnahme sein. Das setzt aber voraus, dass die Eltern gut über mögliche Verläufe informiert sind und wissen, dass sie ihr Kind wieder vorstellen können, falls sich etwas verändert.

Im Verlauf der Diagnostik muss die Logopädin außerdem eine Einschätzung vornehmen, ob Komorbiditäten vorliegen, die beratungs- oder behandlungsbedürftig sind wie z. B. eine spezifische Sprachentwicklungsstörung.

Differentialdiagnostik

Neben dem „originären Stottern“ – also dem Stottern, dass in der frühen Kindheit ohne erkennbare Ursache entsteht und auf ein zentrales Defizit der Sprechsteuerung zurückzuführen ist, gibt es noch weitere Formen von Stottern. Die Leitlinie „Redeflussstörungen“ schlägt folgende Nomenklatur zur Abgrenzung vor:

Erworbenes Stottern oder angeborenes Stottern.

Erworbenes Stottern:

› neurogenes Stottern,

› psychogenes Stottern.

Angeborenes Stottern:

› originäres Stottern

› syndromales Stottern (bei Personen mit Trisomie 23).

Als weitere Redeflussstörung noch Poltern. Ein Überblick über die Einteilung der Redeflusstörungen, ihrer Ätiologie und Symptomatik findet sich in der Leitlinie (Neumann et al., 2016, S. 54ff).

Auch bei Kindern mit Verdacht auf einen elektiven Mutismus sollte anamnestisch erfragt werden, ob in der häuslichen Umgebung eine Stottersymptomatik zu beobachten ist, die erklären könnte, warum das Kind z. B. im Kindergarten als Vermeideverhalten die verbale Kommunikation aussetzt.

Beratung und Therapie-Ableitung

Indikationen für eine Therapie

Im Sinne der ICF-Nomenklatur sollte neben der Anzahl und der Qualität der hörbaren Stotterereignisse auch festgestellt werden, ob Begleitsymptomatik oder Beeinträchtigungen in der Kommunikation oder im Selbstbild als kompetenter Sprecher vorliegen. Eine Therapie ist indiziert, wenn durch die Störung Beeinträchtigungen in der Partizipation am Alltagsleben bestehen. Dies kann z. B. bedeuten, dass Kinder gefürchtete Wörter vermeiden oder in bestimmten Situationen lieber nicht sprechen – aus Angst zu Stottern. Die Kunst liegt darin, bei vorliegenden Beeinträchtigungen schnell zu reagieren und auch bei jungen Kindern Therapie anzubieten, um zu verhindern, dass aus der Störung eine Behinderung entsteht. Andererseits gilt es abzuwägen, welche Kinder von einer Therapie profitieren, da auch eine kindgerechte, spielerische Therapie für die Familie mit Aufwand verbunden ist (regelmäßige Termine, häusliches Üben, ggf. finanzieller Aufwand) und Kinder durch ein Therapienagebot verdeutlicht wird, dass sie nicht der Norm entsprechen. Zur aktuellen Studienlage besteht das Dilemma, dass wir Prädiktoren kennen, die eine Remission wahrscheinlicher machen (für einen Überblick siehe Lattermann, 2011), dass aber für ein bestimmtes Kind keine zuverlässige Vorhersage möglich ist, ob eine Remission eintreten wird. Die Eltern2 sollen nach der Diagnostik und einer fundierten Beratung über mögliche Verläufe und die angebotenen Therapiekonzepte informiert sein und dann im Sinne eines „informed consent“ (Neumann et al, 2016, S. 140) für ihr Kind entscheiden können, ob sie Therapie wünschen und möglichst auch mit welcher Methode.

Eine mögliche elterliche Entscheidung ist auch, keine Therapie für das Kind zu wünschen, aber noch dezidierte Beratung zum Umgang mit dem stotternden Kind zu erfragen.

Therapieziele

Für junge Kinder ist eine Remission, also eine vollständige Heilung, verständlicherweise das gewünschte Ziel. Mit zunehmender Dauer seit Stotterbeginn und vor allem nach Abschluss der Pubertät wird eine echte Remission immer unwahrscheinlicher. Dann liegt das Ziel einer erfolgreichen Therapie in einem guten Umgang mit dem Stottern und der Etablierung einer Sprechtechnik. Aktuell kann keine Therapiemethode für sich in Anspruch nehmen, jedes stotternde Kind zu heilen. Es gibt Hinweise darauf, dass auch die Remissionswahrscheinlichkeit genetisch determiniert ist (Kraft, 2015). Heilungsversprechen gelten daher als unseriös (Sandrieser und Schneider, 2015; Neumann et al., 2016, S. 2010).

Bereits vor einer Therapie müssen Eltern darüber informiert werden, dass eine Heilung nicht versprochen werden kann. Um die Therapieziele besprechen zu können hat es sich bewährt, die Eltern (und ggf. das Kind) zu befragen, was ihre Anliegen sind. Viele Eltern sorgen sich, dass ihr Kind im Kindergarten oder in der Schule gehänselt wird und aufgrund einer auffälligen Begleitsymptomatik zum Außenseiter wird und Nachteile in der Entwicklung hat. Wie schon in der Diagnostik und Erstberatung ist es auch hier wichtig, die Kernsymptomatik getrennt von der Begleitsymptomatik zu betrachten: Stotternde werden nicht durch kurze und unangestrengte Kernsymptome von anderen Kindern gemieden oder ausgelacht, sondern durch sozial auffällige Begleitsymptome oder Änderungen im (Sprech-)Verhalten, die aus der emotionalen Belastung entstehen können (z. B. Abbruch des Blickkontakts im Symptom, Sprechängste oder Zeichen von Scham). Der Abbau von Begleitsymptomen und die Bearbeitung von ungünstigen psychischen Reaktionen auf das Stottern sind damit ebenso wichtige Ziele in der Stottertherapie, wie die Reduktion der Stotterereignisse. Falls das Stottern nicht überwunden wird, sollte ein stotterndes Kind in der Lage sein, den Kontrollverlust im Stotterereignis zu überwinden und sich selbst als kompetenter Sprecher oder kompetente Sprecherin zu erleben, die in angemessener Zeit in der Lage ist, die kommunikativen Wünsche zu äußern.

Neben der Arbeit am Symptom spielt die Elternberatung in der Stottertherapie eine zentrale Rolle. Da Stottern nach wie vor ein vorurteilsbehaftetes Störungsbild ist, ist es wichtig, dass die Familie eines stotternden Kindes genug über das Phänomen Stottern weiß, um die nähere Umgebung (Großeltern, Freunde und Freundinnen, Erzieherinnen) darüber zu informieren.

Kriterien einer guten Stottertherapie

Wie oben beschrieben, erschwert die hohe Rate an Spontanremissionen die Einschätzung, ob eine Heilung

› durch eine Therapie,

› zufällig gleichzeitig während einer Therapie oder

› trotz einer unwirksamen Therapie stattgefunden hat. Oliver Bloodstein und Nan Bernstein Ratner (2008, S. 338-343; für eine detaillierte Diskussion siehe Neumann et al., 2016, S. 98ff) formulierten 12 Kriterien, anhand derer, eine gute und nachgewiesen wirksame Stottertherapie gemessen werden kann. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Wirksamkeitsnachweise an einer ausreichend großen Gruppe unter Messung objektiv erfassbarer Kriterien auch in alltagsnahen Situationen erfasst wurden; dass die Stabilität der Ergebnisse erneut frühestens 12 Monaten nach der letzten therapeutischen Intervention nachgewiesen wird und dass neben der Reduktion des Stotterns auch Ängste, Vermeideverhalten und das Selbstbild berücksichtigt und positiv beeinflusst werden. Für die Therapie mit Kindern gilt zusätzlich, dass die positiven Effekte flüssigen Sprechens nicht dadurch erzielt werden dürfen, dass das linguistische Niveau des Sprechens gesenkt wird.

Empfohlene Therapiemethoden

In der Therapie von jugendlichen und erwachsenen Stotternden sind schon seit vielen Jahren zwei Therapiekonzepte bekannt, die evaluiert sind und gleichberechtigt nebeneinander stehen (Sandrieser and Schneider, 2015): das sind zum Einen Konzepte der Stottermodifikation, die darauf abzielen, in ein Stotterereignis einzugreifen, den Kontrollverlust zu überwinden und die vom Stottern betroffene Silbe mit einer erlernten Sprechtechnik zu realisieren. Der bekannteste Vertreter dieser Methoden ist sicher Charles Van Riper; die von ihm favorisierte Sprechtechnik die Prolongation und die Anwendung der Technik auf eine gestotterte Silbe wird Pull-Out genannt. Zum Anderen gibt es Methoden der Sprech-Restrukturiereung, das so genannte Fluency Shaping, bei dem eine Sprechtechnik angewandt wird, die hilft, das Stotterereignis zu unterdrücken. Das Erste gut beschriebene Fluency Shaping Konzept war das GILCU-Programm von Ryan (Nippold, 2011), heute ist das Camperdown-Programm für die Therapie von Jugendlichen (University of Technology Sidney, 2018) weit verbreitet.

In der Leitlinie Stottern wurden für die Empfehlungen nur Therapiemethoden berücksichtigt, die entsprechend den Standards der Leitlinienkommission die notwendigen Gütekriterien erfüllten (Neumann et al., 2016, S. 10), z. B. einen Re-Test frühestens 12 Monate nach Therapie-Ende, um die Stabilität der Effekte zu überprüfen oder die beschriebene Erfassung von objektivierbaren Parametern wie die Anzahl der gestotterten Silben.

Für die Altersgruppe der 2 bis 7jährigen Kinder, mit denen sich Logopädinnen am häufigsten konfrontiert sehen, ergaben sich drei Methoden, die mit unterschiedlich starken Empfehlungen ausgestattet wurden:

› Das Lidcombe-Programm (Onslow et al., 2003) mit den meisten verfügbaren Studien – zumeist aus Australien und den USA – das die höchste Evidenz aufweist. Es handelt sich um eine verhaltenstherapeutische Intervention unter Einbeziehung eines Elternteils (im Folgenden „Mutter“ genannt), die als Co-Therapeutin angeleitet wird. Die wöchentlichen Therapiestunden werden genutzt, die Übungen einzuführen. In strukturierten täglichen Übungen werden in der ersten Phase von der Mutter Spiele angeboten, bei denen das linguistische Niveau kontrolliert wird und zu Beginn sehr niedrig ist, z. B. Ein-Wort-Äußerungen wie bei Memory oder Lotto. Damit soll erreicht werden, dass es in der Übung viele flüssige Äußerungen des Kindes gibt. Die therapeutische Herausforderung besteht darin, die Mutter anzuleiten, flüssiges Sprechen und gestotterte Silben zuverlässig unterscheiden zu können. Damit soll sie in dieser Übungssituation jede flüssig gesprochene Äußerung des Kindes verlässlich und kontingent mit einer verbalen positiven Verstärkung rückmelden. Wenn das Kind in diesen Übungen wenig stottert, wird das linguistische Niveau in den Übungen gesteigert. Parallel wird täglich von den Eltern dokumentiert, wie der Schweregrad des Stotterns im Alltag auf einer 10-stufigen Skala eingeschätzt wird. Wenn ein Kind in den ersten 15 bis 20 Stunden keine Tendenz zeigt, dass die Stotterschwere im Alltag abnimmt, gilt es als nicht-responsiv und das Programm wird beendet. Bei einer Abnahme des Stotterns werden die täglichen Übungen bis auf Spontansprachebene gesteigert und in einer zweiten Therapiephase die verbale positive Verstärkung in vorher abgesprochenen Alltagssituationen von der Mutter angewandt. Das Ziel der Therapie ist Symptomfreiheit, auch nach Beendigung der Therapie und dem Aussetzen der positiven Verstärkung.

› Die zweite Therapiemethode, die durch eine deutlich geringere Studienlage eine entsprechend schwächere Empfehlung bekommen hat, ist das Programm KIDS, „Kinder dürfen Stottern“ (Sandrieser und Schneider, 2001 bis 2015), einer Adaptation der Stottermodifikation. Die Kinder lernen am Modell und ab dem Vorschulalter durch strukturierte Übungen, Stotterereignisse, die mit Begleitsymptomen wie Tonuserhöhung, Mitbewegungen oder vegetativen Symptomen angereichert sind, mit einer Sprechtechnik aufzulösen und weiter zu sprechen. Dabei spielt die Technik des Pseudostotterns eine wichtige Rolle. Bei diesem absichtlichen, unangestrengten und lockeren „Stottern“ handelt es sich sowohl um eine artikulationsmotorische Übung (damit das Kind lernt, die Kontrolle über das Sprechen wieder zu erlangen), als auch um eine paradoxe Intervention. Die logopädisch vorgestellten Kinder haben oft ungünstige Coping-Strategien etabliert, die aus dem Versuch resultieren, das Stotterereignis mit Kraft und Anstrengung zu überwinden. Das Pseudostottern, dass zuerst spielerisch in der Therapie und dann in steigenden Schwierigkeitsgrad bis zur Spontansprachebene eingesetzt wird, kann hier als Methode der Desensibilisierung dienen. Damit soll die Tendenz, gegen das Stottern anzukämpfen abgebaut werden. Auch in diesem Konzept ist die Anwesenheit eines Elternteils in der wöchentlich stattfindenden Therapie und kontinuierliches Üben notwendig. Falls Kinder durch die Therapie keine Remission erfahren, soll die Technik helfen, Stotterereignisse aufzulösen. Als Nahziel wird der Abbau der Begleitsymptomatik beschrieben. Das Fernziel bei persistierendem Stottern ist die Reduktion der Stottererereignisse, da die Kontrollüberzeugung das Arousal und damit einen der wichtigen Triggerfaktoren des Stotterns senkt. Parallel zur Etablierung der Symptomlösetechnik werden den Eltern und ab dem Vorschulalter auch dem Kind Informationen über die Entstehung und die möglichen Verläufe des Stotterns vermittelt. Dadurch soll die Resilienz des Kindes gegenüber unwirksamen und schädlichen Ratschlägen aus der Umgebung erhöht werden. Den möglichen Einschränkungen an der Partizipation im Alltagsleben soll dadurch vorgebeugt oder bereits vorhandene Einschränkungen rückgängig gemacht werden.

› PCI wurde in London am Michael Palin Centre for Stammering Children von Kelman und Nicholas (2008, 2014) veröffentlicht. Da die Datenlage ebenfalls nicht so umfangreich ist wie für die Lidcombe Therapie, hat es ebenfalls eine schwache Empfehlung bekommen. Es handelt sich um ein indirektes Verfahren, bei dem nach einer Interaktionsanalyse von jedem Elternteil mit ihrem Kind ressourcenorientiert gearbeitet wird. In einem strukturierten Programm erhalten die Eltern die Aufgabe, eine kommunikative Eigenschaft, die Ihnen in der analysierten Situation leicht gefallen ist, in Übungssituationen vermehrt einzusetzen. In umfangreichen Protokollbögen, reflektiert jedes Elternteil den Erfolg der Bemühungen, die Reaktionen und die möglichen Effekte auf die Stottersymptomatik. In der folgenden Stunde erhält jedes Elternteil aufgrund der Auswertung der Beobachtungsbögen eine neue Aufgabe. Die Therapie beginnt mit wöchentlichen Sitzungen und die Intervalle zwischen den Terminen vergrößern sich.

Dieser Therapieansatz wird höchstens 6 Monate angeboten. Falls es bis dann keine Hinweise auf eine deutliche Reduktion des Stotterns oder eine Tendenz zur Remission gibt, wird zu einem direkten Programm gewechselt.

Therapien, von denen abgeraten wird

Die Leitlinie Stottern (Neumann et al, 2016) gibt auch negative Empfehlungen ab, d. h. sie rät explizit davon ab, Methoden anzuwenden, deren Effekte entweder nicht nachweisbar sind oder schnell wieder nachlassen oder die zu viele unerwünschte Nebenwirkungen haben. Dazu gehören Konzepte, bei denen rhythmisiertes Sprechen, Entspannungs- oder Atemtechniken als einziger oder wichtigster Bestandteil der Therapie eingesetzt werden. Außerdem wird von medikamentösen Therapien abgeraten und von Therapiekonzepten, die nicht angeben können, was ihre spezifischen Wirkungsweisen sind. Für psychotherapeutische Verfahren wie psychoanalytische oder tiefenpsychologisch orientierte gesprächspsychotherapeutische Konzepte und Hypnose gibt es ebenfalls keine Wirkungsnachweise. Sogenannte Alternative Heilmethoden wie Homöopathie oder Bachblüten werden abgelehnt, obwohl sie häufig mit dem Hinweis angeboten würden, sie könnten ja nicht schaden. Da in der Zeit ihrer unwirksamen Anwendung aber keine Therapie angeboten wird, die Evidenzen aufweist, kann die verstreichende Zeit als negativer Effekt bezeichnet werden.

Generell gilt, dass Konzepte, die eine Schuldzuweisung hinsichtlich der Entstehung des Stotterns vornehmen oder welche die Betroffenen alleine für den Erfolg oder Misserfolg der Therapie verantwortlich machen oder die keine Rückfall- Prophylaxe anbieten, abzulehnen sind. (Neumann et al, 2016, S. 110f)

Diskussion

Logopädinnen verfügen über alle Voraussetzungen, um stotternde Kinder und ihre Familien gut zu betreuen. Notwendig sind dafür spezifische Kenntnisse über die Entstehung des Stotterns und mögliche Verläufe. Die Therapeutin muss sich Fachwissen über das angebotene Therapiekonzept aneignen und ihr Wissen nutzen, um Angebote zu machen, mit denen die stotternden Kinder mehr Sprechflüssigkeit erlangen können und sie und ihre Familien wieder zu mehr Lebensqualität finden. Eine Stottersymptomatik sollte nicht dazu führen, dass ein Kind in seiner Entwicklung beeinträchtigt wird. Über den konkreten therapeutischen Auftrag hinaus sollten Logopädinnen in diesem Bereich ihr Wissen und ihre Erfahrung nutzen, um Eltern, aber auch Pädagoginnen zu Multiplikatorinnen zu machen: nach wie vor gilt Stottern als vorurteilsbehaftet und Attributionseffekte können dazu führen, dass Stotternde die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften wie psychische Labilität, Nervosität, ungeeignet für Sprecherberufe, Kontaktscheu etc., deshalb irgendwann internalisieren und sich entsprechend verhalten. Der Welttag des Stotterns am 22. Oktober ist jedes Jahr eine gute Gelegenheit, um in den Medien auf die Situation stotternder Menschen aufmerksam zu machen. Wünschenswert wäre neben der Arbeit der Selbsthilfegruppen das Engagement von prominenten Stotternden, die ihren Einfluss geltend machen um zu zeigen, dass es sich um eine Störung des Sprechablaufs handelt und nicht die Folge ungünstigen Erziehungsverhaltens oder Überforderung (Der amtierende US-amerikanische Präsident J. Biden spricht offen über sein Stottern und die negativen Erfahrungen, die er damit machen musste.).

Ausblick

Wünschenswert wäre die Vermittlung von Therapiekonzepten für stotternde Kinder schon in der Grundausbildung von Logopädinnen. Auch Pädagoginnen im Elementar- und Primarbereich sollten über ausreichende Grundlagen verfügen, um besorgte Eltern schnell und umfassend zu beraten. Folgende Fakten sollten allen Erwachsenen, die mit Kindern arbeiten, bekannt sein:

› Stottern ist genetisch bedingt. Eltern sind nicht Schuld am Stottern ihrer Kinder aber sie können bei guter Beratung durch ihr eigenes Verhalten sehr dazu beitragen, dass ihr Kind weniger unter seinem Stottern leidet.

› Einschneidende Erlebnisse zum Zeitpunkt des Stotterbeginns (Geburt eines Geschwisterkindes, Trennung der Eltern, Todesfall in der Familie, Umzug, Krankenhausaufenthalt etc.) sind nicht die Ursache des Stottern, sie können höchstens als auslösenden Faktor bezeichnet werden.

› Die Gruppe der stotternden Kinder unterscheidet sich lediglich hinsichtlich der Kernsymptome des Stotterns von der Gruppe der nichtstotternden Kinder. Intelligenz ist normalverteilt und es gibt keine charakteristischen Verhaltensweisen oder Temperamente, in denen sich alle stotternden Kinder von ihren nichtstotternden Peers unterscheiden.

› Mehrsprachigkeit ist kein Risikofaktor für Stottern.

› Stotternde Kinder wissen, dass sich in ihrem Sprechen etwas verändert hat. Es ist daher nicht sinnvoll, das Thema Stottern in ihrer Gegenwart nicht zu verbalisieren oder zu bagatellisieren. Wenn sie behutsam und angemessen angesprochen werden, können sie Trost und Schutz finden.

› Komorbiditäten (z. B. spezifische Sprachentwicklungsstörungen, Angststörungen) müssen ggf. abgeklärt und zusätzlich zum Stottern therapiert werden. Beispielsweise gilt die Erhöhung des linguistischen Niveaus als Triggerfaktor für Stotterereignisse. Verbesserungen in sprachsystematischen Bereichen können sich daher positiv auf die Anzahl der Stotterereignisse auswirken.

› Die Schwere des Stotterns muss nicht mit dem Grad der subjektiven Belastung korrelieren.

› Aktuell ist es nicht möglich, für ein spezifisches Kind eine sichere Prognose zu machen, ob es eine Remission haben wird.

› Der Schweregrad des Stotterns ist kein prädiktiver Faktor für die Wahrscheinlichkeit einer Remission.

› Stotternden Kinder sollte alles zugetraut werden, was nichtstotternde Kinder auch können. Mitleidsund Schonungsreaktionen können zu einem ungünstigem Selbstbild und Einschränkungen in der Entwicklung führen.

› Wenn ein stotterndes Kind in die Schule kommt, ist es die Verantwortung der Erwachsenen (Eltern und Lehrerinnen), das Thema vorzubereiten und das Kind zu unterstützen.

› Nicht alle stotternden Kinder haben eine Remission. Therapieangebote sollten daher das Szenario eines persistierenden Stotterns ansprechen und das Kind darauf vorbereiten.

Therapieforschung ist weiterhin dringend notwendig. Insbesondere sollte geklärt werden, ob Therapienagebote in Abhängigkeit des Therapiesettings oder in Abhängigkeit des Kulturkreises unterschiedlich erfolgreich sind.

1 Dr. phil. Patricia Sandrieser, Katholisches Klinikum Koblenz Montabaur, Rudolf-Virchow-Straße 7–9, D - 56073 Koblenz, Bundesrepublik Deutschland. E-Mail: patricia@sandrieser.de, p.sandrieser@kk-km.de.

2 Mit „Eltern“ sind die verantwortlichen Erziehungsberechtigten gemeint. Dies können die leiblichen Eltern, aber auch Pflege- oder Adoptiveltern, Co-Eltern, die leiblichen Eltern mit neuen PartnerInnen etc. sein.


Zdroje
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